Auf ein Wort mit Jean Nouvel | VS

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Auf ein Wort mit Jean Nouvel | VS

Jean Nouvel, der französische Stararchitekt, mit dem VS gemeinsam den Schul- und Objektstuhl JUMPER entwickelte.

Auf ein Wort mit Jean Nouvel

Der Pritzker-Preisträger ist davon überzeugt, dass wir Erfahrungen an intensiv erlebte und genutzte Möbel in uns tragen, gerade auch in der Schulumgebung. Deshalb ist ihm wichtig, dass diese Möbel mit Liebe und mit Bedacht gemacht sind.

Mehr über Jean Nouvel
Jean Nouvel, der französische Stararchitekt, mit dem VS gemeinsam den Schul- und Objektstuhl JUMPER entwickelte.

Auf ein Wort mit Jean Nouvel

Der Pritzker-Preisträger ist davon überzeugt, dass wir Erfahrungen an intensiv erlebte und genutzte Möbel in uns tragen, gerade auch in der Schulumgebung. Deshalb ist ihm wichtig, dass diese Möbel mit Liebe und mit Bedacht gemacht sind.

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VS: Monsieur Nouvel, Sie haben für VS Vereinigte Spezialmöbelfabriken einen neuen Stuhl konzipiert. Wie sind Sie bei diesem Auftrag vorgegangen? Wie läuft ein Konzeptionsprozess bei Ihnen ab?

Ich war zunächst einmal begeistert, einen Auftrag von VS zu bekommen. Denn der dänische Designer Verner Panton, mit dem VS die erfolgreiche Panton-Stuhlfamilie entwickelt hat, ist eines meiner großen Vorbilder. Deshalb war der Auftrag, einen Stuhl nach Verner Panton zu entwickeln, eine ganz besondere Freude – aber natürlich auch eine große Herausforderung. Denn dieser neue Stuhl soll alle ansprechen: Kinder und Erwachsene, Schüler und Studenten, und er soll für das Büro wie für zu Hause funktionieren. 
Dieser Auftrag war mir also deshalb so wichtig, weil der Stuhl für eine große Gruppe von Kunden und für einen langen Zeitraum konzipiert sein muss. Dieser Stuhl soll eine Verbindung zu den Einflüssen der 1920er und 1930er Jahre haben. Der Einfluss von Verner Panton reichte über 30 Jahre. So eine lange Perspektive wünschen wir uns auch.

VS: Wie macht sich Ihre Sichtweise als Architekt in Ihrer Arbeit an einem Schulmöbel bemerkbar?

Ob JUMPER nun als Schulmöbel oder anderswo genutzt wird, steht für mich nicht so sehr im Vordergrund. Wichtig ist, dass der Stuhl lebendig ist und etwas Bestimmtes repräsentiert, auch und gerade durch seine Herstellungsweise. Denn ein Möbel repräsentiert immer auch seine Zeit, und deshalb muss dieser Stuhl repräsentieren, wie wir im 21. Jahrhundert Möbel herstellen. Dieser Stuhl ist ein geformtes Sitzmöbel, das – um mit einer Metapher aus dem Sport zu sprechen – zwischen Stand- und Spielbein wechseln kann. Beim Fußball oder Rugby ist es wichtig, den Gegner dadurch auszutricksen, dass man plötzlich mit dem anderen Fuß spielt, und diese Dynamik sollte der Stuhl ebenfalls haben. Deshalb der Name JUMPER. 
Der Name passt aber noch aus einem anderen Grund sehr gut, denn im Profil wirkt der Stuhl wie ein Insekt, das sich jederzeit bewegen könnte. Dieses Sprunghafte ist auch in den Konturen des Stuhls angelegt. Diese Lebendigkeit entsteht zudem durch das Loch im Zentrum des Stuhls, das herzförmig ist. Mir war es vor allem wichtig, dass dieser Stuhl trotz oder gerade wegen der engen Vorgaben für sein Design etwas Natürliches und Lebendiges hat. 

VS: Was hat Sie besonders an dem Auftrag gereizt, einen Gegenstand für die Schule, für die Kinder, also für die zukünftige Generation zu erschaffen?

Ich bin das Kind eines Lehrerehepaars und außerdem Vater einer kleinen Tochter. Daher weiß ich nur allzu genau, dass Kinder Stühle oft als Folterinstrumente empfinden, weil sie viel lieber aufstehen und herumspringen wollen. Ich erinnere mich noch gut an meine Schulbänke und an die Stühle, hinter denen wir Verstecken oder Fangen gespielt haben. Also war mir ganz klar, dass diese Stühle robust sein müssen, um den kleinen Wirbelstürmen, also den Kindern, widerstehen zu können. Robustheit musste also ein zentrales Kriterium des Designs sein. Ich wollte ein Möbelstück, das stabil und widerstandsfähig ist, ohne dass man ihm das sofort ansieht. Ich wollte nicht, dass man von vornherein merkt, dass dieser Stuhl vor allem robust sein muss, sondern dass er sich durch seine Farben und seine Form ausdrückt. Außerdem gibt es den Stuhl in verschiedenen Größen, entsprechend dem Alter der Kinder. Und die Farbpalette sollte so frisch und lebhaft wie möglich sein. Dass es den Stuhl auch aus Holz gibt, verleiht ihm noch einmal ein ganz neues Feeling. Der Stuhl muss sich zudem an die verschiedenen Schulformen anpassen können. Ich glaube, dass sich ein Möbelstück an eine Situation anpassen muss, also müssen wir mit unserem Design auf alle möglichen Lebenssituationen reagieren. 

Der höhenverstellbare Schüler-Drehstuhl JUMPER Air Move von VS in rot

„Ich weiß nur allzu genau, dass Kinder Stühle oft als Folterinstrumente empfinden, weil sie viel lieber aufstehen und herumspringen wollen. "

Jean Nouvel

VS: Ihre Eltern waren Lehrer, wie hat das Ihre Designkonzeption beeinflusst? 

Ich habe meinen Eltern immer gesagt, dass sich die Schule mehr mit Architektur und Design befassen müsste. Meiner Meinung nach sollte die Ausbildung für Architektur und für Design parallel stattfinden, bei uns in Frankreich ist alles viel zu streng getrennt. Außerdem ist es wichtig, dass Schüler aus guten Beispielen lernen und dass sie diese Beispiele an dem Ort vorfinden, an dem sie sehr viel Zeit verbringen, also in der Schule. Ich habe mich anesonsten wenig mit Bildungsinhalten beschäftigt, obwohl ich selbst ein recht berühmtes Bildungsinstitut gebaut habe. Aber ich denke, dass das Thema Architektur und Design Lehrer und Schüler auch zu Fragen anregt. 

VS: Haben Sie selbst ein Bildungskonzept oder eine Pädagogikrichtung, die sie prägen?

Ja, ich habe ein Bildungskonzept, und dieses Konzept hat mich dazu gebracht, selbst nicht zu lehren – aus einem ganz einfachen Grund. Es ist nicht so, dass ich nicht gerne unterrichte, aber aus meiner Sicht sollte der Unterricht nur dazu dienen, die Schüler zur Selbstanalyse zu befähigen. Es geht nicht darum, das, was man selbst weiß, an die Schüler weiterzugeben. Stattdessen muss der Lehrer das Potenzial und die Interessen seines Gegenübers erkennen und ihm bei seiner Weiterentwicklung helfen. So würde ich insgesamt mein Bildungskonzept als Kind eines Lehrerehepaars und als oft angefragter Lehrender beschreiben. Natürlich kann man in Form von Meisterkursen oder in einem Workshop lehren – ich habe in meiner Agentur sehr viele junge Architekten um mich herum –, aber Pädagogik ist kein Beruf, sondern eine Berufung.

VS: Wie verstehen Sie den Zusammenhang zwischen dem Schulmobiliar, dem Unterrichtsraum und der Lernerfahrung der Schüler?

Für mich gibt uns jeder Gegenstand eine Frage auf. Jedesmal, wenn wir einen Gegenstand oder ein Möbelstück anschauen, werden wir stärker mit ihm vertraut und diese Erfahrung prägt sich uns ein. Ich glaube also, dass wir Erfahrungen an intensiv erlebte und genutzte Möbel in uns tragen, gerade auch in der Schulumgebung. Deshalb ist es so wichtig, dass diese Möbel mit Liebe und mit Bedacht gemacht sind.

VS: Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit VS empfunden?

Es gab sehr viele intensive Gespräche. Dabei habe ich aufmerksam zugehört, weil ich normalerweise keine Objekte entwerfe, die in so großen Stückzahlen produziert werden und sich an einen so breiten Nutzerkreis wenden. Bisher habe ich meist Einzelstücke für bestimmte Gebäude konzipiert. Deshalb war dieser Auftrag eine recht neue Erfahrung für mich. Bei JUMPER habe ich zum ersten Mal schon im Vorfeld ganz verschiedene Nutzer mitdenken müssen und für eine ganz neue Altersgruppe gearbeitet, aber genau solch eine Herausforderung reizt mich.  
Die Konzeption eines Möbelstücks kann einen auf ganz ungewohnte Wege führen. Gerade durch die Verpflichtung, sich neuen Anforderungen zu stellen, kommt man auf neue Ideen. Man macht sich klar, dass der Stuhl in Schulen, in Werkstätten, in Ateliers und Büros stehen wird, und dann versteht man den Stuhl als Mehrzweckgerät. Er muss flexibel einsetzbar sein wie ein Werkzeug – ein Werkzeug, das in diesem Fall beim Unterrichten hilft, beim Arbeiten, beim Zusammenkommen. JUMPER repräsentiert eine Institution durch ihr Mobiliar, zum Beispiel in einem Besprechungsraum. Diese Vorstellungen helfen mir für die Konzeption, für die Linien und Konturen. 
In den Gesprächen mit VS ging es genau um das: um die Umgebung und die Aufgabe, die dieses Möbelstück leisten muss. Ein solches Produkt muss sehr viele Grundvoraussetzungen mitbringen, damit es seine Funktion optimal erfüllt. Deshalb war die intensive Rücksprache mit VS sehr nützlich, weil dadurch Fragen beantwortet werden konnten, die dafür sorgen, dass dieser Stuhl ansprechend und begehrenswert ist.

Außenansicht der Philharmonie in Paris, entworfen vom französischen Architekten Jean Nouvel

Eine Linie

Die Silhouette der Philharmonie von Paris, die Jean Nouvel entworfen hat, ähnelt der des Stuhls  JUMPER. Auch die changierende Oberfläche findet sich bei beiden Objekten wieder.

VS: Wie haben Sie die Form für JUMPER gefunden?

Bei einem solchen Stuhl muss die Form organisch wachsen, das ist ein langwieriger Prozess. Man sieht das Ziel vor Augen, aber es kann sein, dass man sich lange auf einen speziellen Aspekt konzentriert, um dann die Form nur um fünf Millimeter zu verändern. Wichtig ist auch zu überlegen, wo man den Stuhl oben, unten oder in der Mitte anfassen kann, um ihn zu transportieren. Wir haben zudem über die Oberflächenstruktur gesprochen, über verschiedene Plastikarten und verschiedene Gestellformen. Es steckt also viel kollektive Arbeit hinter den Details. Es ging auch darum, an den verschiedenen Varianten des Stuhls zu arbeiten, denn diese müssen sich in ganz bestimmten Punkten unterscheiden, trotzdem muss jede Variante typisch „JUMPER“ sein. Das ist ein sehr langer Prozess.

VS: Wie steht es um die Ergonomie: Wie passt sich der Stuhl dem Körper an?  

Ich habe das ausprobiert. Ich sitze auch jetzt während unseres Interviews auf einem JUMPER und fühle mich dabei sehr wohl. Aber natürlich gibt es Menschen, die kleiner oder größer sind als ich, also muss sich dieser Stuhl allen Körpergrößen und außerdem an verschiedene Sitzhaltungen anpassen können. Ergonomische Überlegungen fließen deshalb sehr intensiv in die Konzeptionierung ein und müssen auch praktisch getestet werden. 

VS: Worin zeigt sich die Flexibilität dieses Stuhls, die Sie auch zur Namensgebung JUMPER inspiriert hat?

Wer springen will, braucht Beweglichkeit. Deshalb durfte JUMPER auf keinen Fall steif sein. Der Stuhl soll bei der Bewegung unterstützen. Das haben wir durch die innere Spannung und Stabilität der Struktur erreicht sowie durch die Position und Struktur der Stuhlbeine. Auf JUMPER sitzt man wirklich flexibel, im ganz wörtlichen Sinn.

VS: Was ist mit der Sitzschale?

Auch die ist etwas flexibel, genauso wie die Grundstruktur. Allerdings ist diese Flexibilität je nach Stuhlvariante unterschiedlich stark ausgeprägt. Sie hängt auch von der Gestellform ab, aber die kann sich der Kunde ja aussuchen. Vor allem passt sich der Stuhl den Kundenwünschen an, es gibt für jeden Kundenwunsch die passende Variante. Auch das ist eine Form von Flexibilität.

VS: Wenn Sie einen Designer oder Innenarchitekten einen Rat für ein solches Projekt geben wollten, was würden Sie sagen?

Zunächst einmal würde ich ihn darauf aufmerksam machen, dass er nicht so schnell wieder die Chance bekommen wird, solch ein Projekt durchzuführen. Ich würde ihm raten, sein Konzept gründlich zu überdenken und sich genau zu überlegen, wie sich der Stuhl für möglichst viele Menschen gut anfühlen soll. Der JUMPER ist nicht unbedingt ein Stuhl, der einen umhaut. Das ist vielmehr ein Stuhl, der bei allem, was man tun möchte, mitgeht, und der seine Besitzer über viele Jahre unterstützend begleitet. 

VS: Was sind die wichtigsten Eigenschaften, die einen Kunden überzeugen sollten, den Stuhl zu kaufen?

Wenn jemand diesen Stuhl kauft – wobei es eher selten vorkommen wird, dass diejenigen, die darauf sitzen, auch die Käufer sind. Also besser: Wenn jemand diesen Stuhl nutzt, wird er lange Jahre und viele Stunden darauf verbringen, sei es als Schüler oder Student oder an einem anderen Arbeitsplatz. Ich denke, der JUMPER ist so konzipiert, dass die Besitzer eine Vertrautheit mit dem Stuhl empfinden werden. Genau das braucht es ja, damit man sich auf einem Sitzmöbel wohlfühlt: dass es einem vertraut wird. Im Französischen sagen wir dafür „devenir familier“, also Teil der Familie werden.

VS: Wie bewerten sie die technische Kompetenz und die Prüfmöglichkeiten von VS?

Ich war sehr beeindruckt von den vielen verschiedenen Überlegungen und Testverfahren, die VS einsetzt, um technische und ergonomische Perfektion zu erlangen und Langlebigkeit zu testen. Es ist ein echter Hindernislauf, bis man den perfekten Stuhl kreiert hat!

VS: Wie war es für Sie, mit einer deutschen Firma zusammenzuarbeiten?

Ich gebe zu, das Streben nach Perfektion hat sicher etwas damit zu tun, dass VS ein  deutsches Unternehmen ist. Das gilt bei Stühlen wie bei Autos und anderen deutschen Produkten.

VS: Vielen Dank für das Gespräch, Monsieur Nouvel. 

Portrait des Designers Martin Ballendat, der den Hocker Stakki von VS entworfen hat

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Er arbeitet mit vielen namhaften Möbelherstellern zusammen. Zahlreiche seiner Produkte wurden mit Designpreisen ausgezeichnet – so wie Stakki, seine Stuhlikone auf drei Beinen, die er für VS entwickelt hat.

Auf ein Wort mit Martin Balendat

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